Blindleistungskompensation: Was Ihr Wechselrichter für das Stromnetz leistet

Sie haben in eine hochwertige Photovoltaikanlage investiert, um Ihren Eigenverbrauch zu maximieren und Stromkosten zu senken. Doch womöglich stoßen Sie in den Einstellungen Ihres Wechselrichters auf Begriffe wie „Blindleistung“, „cos φ“ oder „Verschiebungsfaktor“ und fragen sich: Bremst diese Funktion heimlich die Leistung meiner Anlage aus? Die kurze Antwort ist: Nein, ganz im Gegenteil. Ihr Wechselrichter übernimmt damit eine entscheidende Aufgabe, die für die Stabilität des gesamten Stromnetzes unerlässlich ist – und sichert so langfristig auch die Effizienz Ihrer eigenen Stromversorgung.
Dieser Artikel erklärt Ihnen, was Blindleistung genau ist, warum Netzbetreiber sie von Ihrer Anlage anfordern und welche minimalen Auswirkungen das auf Ihren persönlichen Ertrag hat.
Was ist Blindleistung? Eine einfache Erklärung
Um Blindleistung zu verstehen, hilft ein bekanntes Bild: Stellen Sie sich ein frisch gezapftes Glas Bier vor. Der gesamte Glasinhalt, also Bier plus Schaumkrone, ist die Scheinleistung. Sie entspricht der gesamten Energie, die im Netz transportiert wird. Das Bier selbst ist die Wirkleistung – die Energie, die Sie tatsächlich nutzen können, um Ihre Geräte zu betreiben. Die Schaumkrone ist die Blindleistung: Sie ist für den Transport des Biers notwendig, trinken können Sie sie aber nicht.
Im Stromnetz verhält es sich ähnlich:
- Wirkleistung (kW): Die tatsächlich nutzbare Leistung, die in Wärme, Licht oder Bewegung umgewandelt wird.
- Blindleistung (kVar): Eine Energieform, die für den Aufbau und Erhalt von magnetischen und elektrischen Feldern benötigt wird. Sie pendelt im Netz hin und her, ohne verbraucht zu werden.
- Scheinleistung (kVA): Die Summe aus Wirk- und Blindleistung. Sie beschreibt die Gesamtbelastung des Netzes.
Blindleistung entsteht durch bestimmte Verbraucher wie Elektromotoren, Transformatoren oder lange Leitungen. Früher wurde sie zentral von den Großkraftwerken der Netzbetreiber bereitgestellt. Durch den rasanten Ausbau dezentraler Energiequellen wie der Photovoltaik leisten heute auch diese Anlagen einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität.
Warum Blindleistung für ein stabiles Netz unverzichtbar ist
Ein stabiles Stromnetz benötigt zu jeder Zeit ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch. Blindleistung spielt hierbei eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der Spannung. Man kann sie sich als „Spannungsstütze“ vorstellen.
- Zu hohe Spannung: Wenn an sehr sonnigen Tagen viele PV-Anlagen gleichzeitig große Mengen Strom einspeisen, kann die Spannung im lokalen Netz ansteigen. Indem Wechselrichter sogenannte induktive Blindleistung bereitstellen, helfen sie, diese Spannung zu senken und eine Überlastung oder Abschaltung zu verhindern.
- Zu niedrige Spannung: Bei hoher Last im Netz, zum Beispiel am Abend, kann die Spannung fallen. Hier können Wechselrichter kapazitive Blindleistung bereitstellen, um die Spannung anzuheben und das Netz zu stabilisieren.
Tatsächlich wird diese netzdienliche Funktion immer wichtiger. Der deutsche Netzbetreiber TenneT geht davon aus, dass bis 2030 bis zu 45 % der benötigten Blindleistung von dezentralen Anlagen wie PV-Systemen bereitgestellt werden. Ihre Anlage ist also ein aktiver Teil einer modernen, stabilen Energieinfrastruktur.
Gesetzliche Anforderungen: Der Cosinus Phi (cos φ)
Damit alle Anlagen koordiniert zusammenarbeiten, gibt es klare technische Vorgaben. Die wichtigste in Deutschland ist die Anwendungsregel VDE-AR-N 4105. Sie schreibt vor, wie sich Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz zu verhalten haben.
Ein zentraler Wert ist hierbei der Leistungsfaktor, auch Cosinus Phi (cos φ) genannt. Er beschreibt das Verhältnis von Wirkleistung zu Scheinleistung.
- cos φ = 1: Die Anlage liefert ausschließlich Wirkleistung. Es gibt keine Blindleistung.
- cos φ < 1: Die Anlage liefert neben der Wirkleistung auch Blindleistung.
Gemäß der VDE-AR-N 4105 müssen Photovoltaikanlagen ab einer Leistung von 13,8 kVA Blindleistung bereitstellen. Der vom Netzbetreiber geforderte Standardwert liegt in der Regel bei cos φ = 0,95 (induktiv oder kapazitiv).
Aus unserem Shop, Kategorie: Balkonkraftwerke mit Speicher
Anker SOLIX Solarbank 3 E2700 Pro Balkonkraftwerk Speicher Set 2000 Watt 800 Watt - 5,4 kWh
Ab 2.099,00 €Was bedeutet das in der Praxis?
Ihr Installateur stellt den vom Netzbetreiber geforderten Cosinus-Phi-Wert bei der Inbetriebnahme am Wechselrichter ein. So stellt das Gerät bei Bedarf Blindleistung zur Verfügung, um das Netz zu stützen. Moderne Geräte sind darauf ausgelegt, diese Anforderungen zu erfüllen. Bei der Auswahl ist es wichtig, auf die Konformität mit aktuellen Netzanschlussregeln zu achten – ein Aspekt, der bei der Entscheidung für der richtige Wechselrichter für Ihre Anlage eine wichtige Rolle spielt.
Beeinflusst die Blindleistung meinen Eigenverbrauch?
Dies ist die häufigste Sorge von Anlagenbetreibern. Die Bereitstellung von Blindleistung reduziert theoretisch die maximal mögliche Wirkleistung. Ein Leistungsfaktor von cos φ = 0,95 bedeutet, dass der Wechselrichter im Moment der Anforderung nur noch 95 % seiner Nennleistung als Wirkleistung ausgeben kann. Bei einem 10-kVA-Wechselrichter wären das 9,5 kW statt 10 kW.
Allerdings tritt dieser Fall nur selten ein:
- Relevanz nur bei Volllast: Die Reduzierung der Wirkleistung macht sich nur dann bemerkbar, wenn Ihre Anlage an ihrer absoluten Leistungsgrenze arbeitet, beispielsweise an einem perfekten Sonnentag zur Mittagszeit.
- Bereitstellung nur bei Bedarf: Blindleistung wird nicht permanent bereitgestellt, sondern nur dann, wenn der Netzbetreiber sie zur Spannungsstabilisierung anfordert.
Für den ganzjährigen Ertrag Ihrer Anlage ist der Effekt verschwindend gering. Dr. Andreas Kintzel, ein Spezialist für Netzintegration, merkt an: „Für eine typische private PV-Anlage liegt der tatsächliche jährliche Ertragsverlust durch die Blindleistungsbereitstellung oft unter 0,5 %. Der Nutzen für die Netzstabilität überwiegt diesen minimalen individuellen Abstrich bei Weitem.“
Stellen Sie sich ein typisches Alltagsszenario vor: An einem sonnigen Nachmittag produzieren alle PV-Anlagen in Ihrer Nachbarschaft Strom, wodurch die Spannung im lokalen Netz ansteigt. Anstatt Anlagen vom Netz nehmen zu müssen, fordern die Netzbetreiber über die Wechselrichter Blindleistung an. Die Spannung stabilisiert sich und alle Anlagen können weiter einspeisen. Ihre Anlage trägt also aktiv dazu bei, dass Sie und Ihre Nachbarn den maximalen Nutzen aus der Sonnenenergie ziehen.
Während die Blindleistungsbereitstellung eine netzdienliche Pflicht ist, die automatisch abläuft, gibt es viele andere Bereiche, in denen Sie selbst aktiv werden können. Erfahren Sie, so maximieren Sie Ihren Eigenverbrauch durch intelligentes Lastmanagement und den Einsatz von Stromspeichern.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist Blindleistung einfach erklärt?
Blindleistung ist wie der Schaum auf einem Bier. Man braucht ihn, um das Bier (die Wirkleistung) zu transportieren und zu stabilisieren, aber direkt nutzen kann man ihn nicht. Im Stromnetz stabilisiert Blindleistung die Spannung.
Aus unserem Shop, Kategorie: PV Anlagen mit Speicher und Montagesets
20000 Watt Photovoltaikanlagen inkl. 20,00 kWh Batterie & Ziegeldach Montageset - Trina Bifazial
12.999,00 €Verliere ich Geld durch die Blindleistungskompensation?
Nein. Der Einfluss auf Ihren Jahresertrag ist minimal (meist unter 0,5 %) und wird durch den Vorteil eines stabilen Netzes, das mehr erneuerbare Energien aufnehmen kann, bei Weitem aufgewogen. Sie sichern damit auch die Effizienz Ihrer eigenen Anlage.
Muss meine kleine Balkonkraftwerk-Anlage auch Blindleistung bereitstellen?
In der Regel nicht. Die Pflicht zur Blindleistungsbereitstellung nach VDE-AR-N 4105 greift erst für Anlagen mit einer Scheinleistung von mehr als 13,8 kVA. Standard-Balkonkraftwerke liegen weit unter dieser Grenze.
Kann ich die Blindleistungsfunktion an meinem Wechselrichter abschalten?
Technisch ist dies oft möglich, aber es ist gesetzlich nicht zulässig und verstößt gegen die Anschlussbedingungen Ihres Netzbetreibers. Die Einstellungen werden vom Installateur nach den Vorgaben des Netzbetreibers vorgenommen und sollten nicht verändert werden.
Wer stellt den Cosinus-Phi-Wert ein?
Der Elektrofachbetrieb, der Ihre Anlage installiert, stellt den vom lokalen Netzbetreiber geforderten Wert am Wechselrichter ein. Dieser Wert ist Teil der technischen Dokumentation für den Netzanschluss.
Fazit: Ein kleiner Beitrag mit großer Wirkung
Die Bereitstellung von Blindleistung bremst Ihre Anlage also nicht aus – sie ist vielmehr eine intelligente und notwendige Eigenschaft moderner Wechselrichter. Sie leisten damit einen unsichtbaren, aber essenziellen Beitrag zur Stabilität unseres Stromnetzes und ermöglichen so erst die erfolgreiche Integration von Millionen von PV-Anlagen. Der Einfluss auf Ihren persönlichen Eigenverbrauch ist vernachlässigbar gering. Ihre Anlage ist somit nicht nur ein Kraftwerk für Ihr Zuhause, sondern auch ein stabilisierendes Element für die Energieversorgung der Zukunft.
Weitere praxisnahe Informationen zur Auswahl der richtigen Komponenten finden Sie direkt auf Photovoltaik.info.



